Des Himmels Willen

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Ein Schleier der Stille zieht sich über die mit Seegras bedeckten Hügel der Flussinsel. Es scheint, als hätte sich dieser aus den hohen Bergen im Süden seinen Weg über das ruhige Gewässer hinweg gesucht, um den Neuankömmling mit einer lautlosen Umarmung zu begrüßen. Immernoch bewusstlos vom Aufprall, liegt Jona inmitten einer flachen nahezu ausgetrockneten Senke. Nur sein linker Ärmel ist beim Aufprall ausgerechnet in einer Pfütze gelandet und saugt allmählich das übrige Wasser aus ihr auf.
Doch irgendetwas scheint die Ruhe zu stören. Vereinzelt drängeln sich kurze zischende Silben zwischen das sanfte Rascheln des Grases, die sich immer mehr zu geflüsterten Worten formen und schließlich mit einem finalen „Pscht!“ verstummen.
Jona kommt langsam wieder zu sich und öffnet zögernd seine Augen. Obwohl die Stimmen in einigen Metern Entfernung vermutlich der Grund für sein Erwachen sind, nimmt er die Quelle nicht wahr und ist völlig damit beschäftigt, zu begreifen, was mit ihm geschehen ist und wo er sich überhaupt befindet.
Ungewöhnlicherweise ist der Geruch das erste, was er bewusst wahrnehmen kann. Normalerweise gehörten Gerüche zu der Art Sinneswahrnehmung, die nie Bestandteil seiner Traumerinnerungen waren. In diesem Moment hingegen kann er das, was sich den Weg in seine Nase gesucht hat, so differenziert beschreiben wie das Prinzip der Thermodynamik. Jonas Opa Günter hatte ihn schon seit Kindstagen dafür bewundert, mit welch Energie und gewandter Wortwahl er jenes Konzept zum Abendessen ausführlich erläutern konnte. Opa Günter wäre auch die Person gewesen, die den Geruch in Jonas Nase als den „Duft von Regen“ beschrieben hätte. „Aber wonach riecht den eigentlich Regen?“ entgegnete ihm Jona jedes Mal aufs Neue, um die immer wieder selbe Antwort zu erhalten „Na eben nach Regen!“
Was ihn damals unbefriedigt zurückließ, scheint ihm jetzt, gelähmt auf dem schlammtriefenden Boden einer umnachteten Insel liegend, völlig eindeutig. Ein wohl abgestimmtes Potpourri aus modriger Erde, frischen Pilzen und nassem Gras kombiniert mit fruchtigen Noten von vergorenem Fallobst und saftigen Mooskissen entfaltet sich in den Geruchsknospen seiner dreckverkrusteten Nase. Doch ein Nebendarsteller hat sich in das Ensemble geschlichen, um Unruhe zu stiften. Noch immer am Boden liegend, verziehen sich Jonas Gesichtszüge als er den stechenden Geruch von Rauch wahrnimmt. Nicht die Art von Rauch, die man gelegentlich im Vorbeigehen an einer Kneipe vernimmt, nein, dieser Rauch schreit förmlich nach Zerstörung von Wald und Feldern.

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