Fall

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Für den Bruchteil einer Sekunde bleibt die Zeit stehen. In Jona macht sich das wohlige Gefühl breit, schwerelos und aufgehoben zu sein. Wie ist das möglich? Er ist gerade dabei, sicher in den Tod zu stürzen und empfindet so etwas wie Vertrautheit? Vielmehr wird ihm klar, dass er dieses Gefühl schon sehr häufig erlebt hat. Und zwar ausschließlich in seinen Träumen, die er seit einigen Monaten hat. Immer wieder träumte er, eigenmächtig fliegen zu können bis zu dem Zeitpunkt, in dem er diese Kraft grundlos verliert und zu Boden stürzt. Im Gespräch mit einer Arbeitskollegin fand er heraus, dass der Grund für solche Träume häufig ein Mangel an sozialem Halt sei. Ob an dieser These etwas dran ist oder sie nur ihr küchenpsychologisches Wissen preisgeben wollte, hat Jona nicht weiter hinterfragt.
Allein, dass er sich allerdings in diesem Moment des Fallens Gedanken darüber machen kann, bestätigt, dass er sich nur in einem Traum befinden kann.
Aus seiner Erfahrung konnte er mit Sicherheit sagen, dass als Nächstes sein Herzschlag wieder einsetzen wird und ihn mit rasender Panik ans Sterben erinnern möchte. Und so fällt Jona mit einer Dampfwalze in der Brust ins Nichts.
Inmitten eines endlos scheinenden Falls durch die Wolkenwand beginnt Jona zu begreifen, dass irgendetwas an dieser Traumsequenz anders ist. Es liegt nicht an dem Abhandensein von Windgeräuschen und wild flatternden Stofffalten seines Pyjamas. Auch nicht daran, dass er seine Umgebung kaum erfassen kann. Es liegt viel mehr daran, dass der Fall ungewöhnlich lange anhält. Zeit ist generell in Träumen eine relative und meist schwerfassbare Komponente. Dass er sich dessen aber gerade bewusst wird, macht ihm Angst. Erneute Panik steigt in ihm auf, während er weiterhin unaufhaltsam in die Leere stürzt, ohne zu wissen, ob und wann er jemals wieder festen Boden unter den Füßen haben wird.

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